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Le camp d’internés 1914-1919
Le camp d’internés 1914-1919

Dieser Internet-Auftritt verfolgt das Ziel, möglichst viele Informationen über das Internierungslager auf der Ile Longue zusammenzustellen, damit Historiker und Nachkommen der Internierten sich ein Bild von den Realitäten dieses bisher wenig bekannten Lagers machen können - nicht zuletzt auch, um die bedeutenden kulturellen Leistungen der Lagerinsassen zu würdigen.

Le but de ce site est de prendre contact avec les familles des prisonniers allemands, autrichiens, hongrois, ottomans, alsaciens-lorrains... qui ont été internés, pendant la Première Guerre mondiale, dans le camp de l’Ile Longue (Finistère).

Julius Mitterhuber
On-line gesetzt am 22. Januar 2016
zuletzt geändert am 22. September 2020

von Christophe, Gérard

In Vorbereitung eines Vortrags über das Internierungslager Île Longue in der Stadt Regensburg stellte sich die Frage, ob es einen Internierten gäbe, der eine besondere Beziehung zur Stadt hatte. In der Datenbank der Internierten fand sich nur eine Person, die in Regensburg geboren wurde: Julius Mitterhuber. Allerdings war da erst mal nur der Personalbogen (fiche individuelle) im Archiv des Departements Finistère. Der Personalbogen enthält Angaben zum Geburtsdatum, Vornamen des Vaters (Franz Xaver), Vor- und Mädchenname der Mutter (Rosalie Hansladen) und einige andere Angaben wie zum Ort der Festname, den verschiedenen Stationen der Gefangenschaft und einiges mehr. Für den Beruf findet sich die Angabe „Direktor des Kaufhauses Kraus in Paris“ (directeur maison commerciale Kraus Paris).

Personalbogen Mitterhuber (vermutlich von ihm selbst ausgefüllt),
Mitterhuber’s personal file (probably filled in by himself),
Archiv des Departements Finistère

Das sind zwar einige Informationen, aber nicht genug, um ein Bild dieses Mannes zu zeichnen. Ein erneuter Besuch im Archiv des Departements Finistère brachte erstaunlicherweise weitere Dokumente zur Person Mitterhuber zu Tage, aber auch in Regensburg fanden sich im Stadtarchiv weitere Dokumente.

Julius Mitterhuber wird in der Heil- und Pflegeanstalt Karthaus-Prüll am 24. November 1870 [1] geboren. Der Vater Franz Xaver Mitterhuber ist zu dieser Zeit Verwalter der „königlich bayerischen Kreisirrenanstalt“ [2]. Julius ist das dritte von vier Kindern.

Wie kommt dieser in Regensburg geborene Mann ins Internierungslager auf Île Longue?

Kriegsbeginn

Julius Mitterhuber lebt seit 1906 in Paris und ist mit der Französin Marie-Antoinette, geborene Delmas aus Arpajon im Cantal verheiratet. Zuvor hat er 2 Jahre in Pennsylvania (USA) verbracht. Er verbringt also insgesamt 10 Jahre im Ausland.

Mit Kriegsausbruch verlässt er am 2. August 1914 Paris fluchtartig unter „Zurücklassung all seines Hab und Gutes“ und seiner Ehefrau und meldet sich bei seiner Ankunft in Deutschland sofort bei den Militärbehörden mit Bitte um Verwendung als Freiwilliger beim Sanitätsdienst [3]. Einige Tage später meldet er sich in München erneut mit diesem Anliegen. Es gibt aber eine Hürde. Er benötigt einen Heimatschein [4]. Sein alter Heimatschein von 1897 ist abgelaufen.

Brief Mitterhuber an Bezirksamt Regensburg vom 31.08.1914,
Mitterhuber’s letter to the district authority of Regensburg, August 31st, 1914,
Stadtarchiv Regensburg

In einem Schreiben vom 4. September 1914 wird Mitterhuber mitgeteilt, dass er aufgrund zehnjährigen ununterbrochen Aufenthalts im Ausland seine bayerische Staatsangehörigkeit verloren habe, ein Heimatschein aber nicht ohne weiteres ausgestellt werden könne. Einige Tage später - vermutlich am 8. September 1914 - wird aber auf der Rückseite des gleichen Aktenvermerks festgehalten, dass der Heimatschein ausgestellt werden könne. Ob das auch passiert ist, ist unbekannt.

Aktenvermerk vom 4.9.1914,
Memorandum, September 4th, 1914,
Stadtarchiv Regensburg
Aktenvermerk vom 4.9.1914 (Rückseite),
Memorandum, September 4th, 1914 (back page),
Stadtarchiv Regensburg

Internierung und erste Etappen

Erst am 24. Dezember 1914 findet sich eine weitere Spur von Mitterhuber. Er wird im französischen Boulogne-sur-mer aus Folkstone (Großbritannien) kommend festgenommen. In den Akten steht, er wollte seine Frau nachholen! Hier bleiben wichtige Fragen offen: Wie war es in Kriegszeiten für einen Deutschen überhaupt möglich nach Folkstone und von dort nach Frankreich zu kommen?

Der Weg Mitterhubers von 1914 bis 1919
Mitterhuber’s route across France – 1914 through 1918

Nach fast 4 Monaten Inhaftierung in Boulogne-sur-mer wird er Mitte April 1915 ins Lager La Ferté-Macé (Normandie) überführt, zwei Monate später Ende Juni 1915 nach Aurillac (Auvergne) und dann am 13. November 1915 in das Fort du Miradou in Collioure am Mittelmeer (Languedoc-Roussillon). Er verbleibt dort bis zum 19. März 1916. In dieser Zeit muss er Theodor Hommes kennengelernt haben. Der war hier vom 26. Januar 1915 bis zum 13. März 1916 interniert.

Im März 1916 geht es von Collioure wieder zurück nach Aurillac und nach einem Zwischenaufenthalt im Militärgefängnis von Clermont-Ferrand (Auvergne), vermutlich ab dem 7. Mai 1916, kommt er am 19. August 1916 in das Lager Île Longue. Ein Entlassungsdatum ist nicht bekannt. Da aber im Archiv des ICRC [5] „Prisoners of the First World War” keine Karteikarte zu Mitterhuber zu finden ist, könnte es sein, dass er bis 1919 im Lager Île Longue geblieben ist.

Nach dem Aufenthalt auf Île Longue verliert sich seine Spur.

Im Lager Île Longue

Aus einem Lagerdokument erfahren wir, dass Mitterhuber eigentlich Arzt ist und sich in diesem Fachgebiet auch als Lehrer engagiert. Bei dem Dokument handelt es sich um die in der Inseldruckerei hergestellte Broschüre über das Schul- und Ausbildungswesen im Lager. Es ist eine Art Rechenschaftsbericht, den die Internierten Mitte 1918 nach Bekanntmachung des Berner Abkommens [6] in Erwartung einer baldigen Entlassung verfassen.

Es gibt auf Île Longue ein reichhaltiges und gut organisiertes Unterrichts- und Ausbildungswesen. Die Voraussetzungen hierfür sind gut: Auf der einen Seite eine große Zahl relativ junger Männer, die die Zeit der Gefangenschaft zu Aus- und Weiterbildung nutzen wollen, auf der anderen Seite kompetente Wissenschaftler, Techniker, Handwerker, Kaufleute, Juristen u.a., die bereit sind, ihr Wissen weiterzugeben. Das Lehrangebot der Schule wird geradezu begierig angenommen: „Und unsere Schule wuchs, wuchs, immer neue Reiser in Gestalt neuer Lehrfächer ansetzend, und immer mehr Studierende aufnehmend, sodaß im Juli 1917 die Lehrgänge sich auf 56, die Schülerzahl aber um das doppelte, nämlich auf rd. 800 vermehrt hatten.“ [7] Besonders großes Interesse finden die Sprachkurse für Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Türkisch und Arabisch. Examen und Prüfungen in allen Fächern werden nach einer genau ausgearbeiteten Prüfungsordnung abgehalten, die gewährleisten soll, dass die Prüfungen nach Rückkehr in die Heimat anerkannt werden können.

Ausschnitt aus der Broschüre über das Schul- und Ausbildungswesen im Lager Île Longue,
Brochure on the education and training system in the Île longue camp, detail,
Archiv des Departements Finistère

Auf Seite 43 der Broschüre findet sich im Verzeichnis der Lehrgänge in den Jahren 1917-1918 unter der Überschrift „Vorträge und Vorlesungen“ auch das Thema „Gesundheitspflege“ mit „Gemeinverständlichen Vorträgen über Lungen-, Herz-, Magen-, Darm- und Geschlechtskrankheiten u.s.w.“. Als Name und Beruf des Lehrers findet sich „Dr. Mitterhuber, Arzt“. Für die Dauer des Lehrgangs sind fünf Monate mit einer Wochenstunde und 200 Teilnehmer angegeben.

Die Akte „52 Dokumente“

Auf der Suche nach weiteren Informationen zu Julius Mitterhuber fanden sich im Archiv des Departements Finistère in den Akten drei weitere Vorgänge.

Aus der Zeit vom 5. Oktober 1916 bis zum 1. Februar 1917 gibt es 4 Schreiben zu angeblich verlorenen Dokumenten:

  • Der Innenminister (Sureté Générale) an den Präfekten des Finistère vom 5. Oktober 1916
  • Der Präfekt des Finistère an den Präfekten des Cantal vom 9. Oktober 1916
  • Commandant Lager Aurillac an Präfekt Cantal vom 14. Oktober 1916
  • Bestätigung des Lagerkommandanten Île Longue, dass die 52 Dokumente an Mitterhuber übergeben worden seien vom 1. Febr. 1917

Vermutlich hat Mitterhuber sich im Frühherbst 1916 an die amerikanische Botschaft in Paris mit der Bitte gewandt, ihm bei der Wiederbeschaffung von Unterlagen zu helfen, die ihm während der Internierung in Aurillac abgenommen worden waren. Diese Bitte um Rückerstattung, von den französischen Behörden sehr ernst genommen, wird zum Gegenstand einer Korrespondenz, deren Bestandteile vorliegen. Es fehlt nur der Ausgangspunkt, nämlich das von Mitterhuber an die amerikanische Botschaft gerichtete Schreiben.

Die Akte „Keine Post“

Am 16. Januar 1917 richtet Mitterhuber ein Beschwerdeschreiben an den Präfekten des Finistère. Er habe Schwierigkeiten, mit seiner Frau in Paris zu korrespondieren. Seine Frau versichere ihm, sie schreibe ihm im Durchschnitt 4 mal pro Monat, aber er bekomme nur einmal alle vier Wochen Nachricht von ihr, und seine Briefe an sie kämen nur unregelmäßig an. Er glaube, dass sie seine Briefe nur selten erhalte, so dass es ihm unmöglich sei, sich mit ihr auszutauschen wegen Sendungen von Geld und Wäsche und Kleinigkeiten, die er brauche. Das gehe schon seit langem so und er leide beträchtlich darunter. Er bittet den Präfekten, ihm zu glauben, dass in den Briefen nur ganz banale Sachen stehen, Informationen über den Gesundheitszustand, zu tätigende Einkäufe usw. Sie hielten sich streng an die Zensurvorschriften:

„Ich bin sicher, Herr Präfekt, dass Sie nicht die Absicht haben, mir eine Ausnahmebehandlung zukommen zu lassen, wo doch mein Betragen in nichts eine solche Maßnahme rechtfertigen würde und wo alle anderen Internierten alle Freiheit haben, mit ihren Familien zu korrespondieren. Ich möchte jedenfalls meiner Frau die andauernde Sorge ersparen, nicht einmal zu wissen, wo ich mich befinde. Ich bitte Sie, Herr Präfekt, deshalb, angesichts des harmlosen Inhalts unserer Korrespondenz, das Büro der Kaserne anzuweisen, die Briefe, die mir meine Frau schickt, durchzulassen sowie auch die Karten und Briefe, die ich ihr schreibe, nicht zurückzuhalten.

Mit dem Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung, Jules Mitterhuber, Gruppe 34“

Der Präfekt bittet am 23. März 1917 den Kommandanten, dem Internierten Mitterhuber mitzuteilen, dass kein einziger Brief an oder von Mitterhuber zurückgehalten werde, dass seine Beschwerde also völlig ungerechtfertigt sei.

Am 28. März 1917 schreibt Mitterhuber erneut an den Präfekten. Der letzte Brief von seiner Frau sei vom 17. Februar 1917. Er habe diesen zerstört, wie alle anderen, die er früher bekommen hat; aber sie habe ihm etwa zu derselben Zeit gesagt, das einzige Lebenszeichen, das sie von ihm erhalten habe, stamme vom 19. Dezember 1916. Aus diesem Brief gehe also hervor, dass sie keinen der Briefe, die er ihr seit Ende Dezember, im Januar und bis zum 17. Februar geschrieben habe, bekommen hätte.

„Meine Frau hat mir immer versichert, sie schreibe mir regelmäßig viermal im Monat und bis zum Beweis des Gegenteils habe ich absolutes Vertrauen in ihr Wort. Ich bin sicher, Herr Präfekt, dass sie ihnen gern alle erwünschten Auskünfte zu diesem Punkt liefern würde, umso mehr als Ihr Eingreifen sie mit Hoffnung erfüllt, freier mit mir korrespondieren zu können.“

Die „Affäre Cécile Hallot“

Der dritte Vorgang sieht zumindest auf den ersten Blick etwas delikat aus. Im Archiv finden sich drei Schreiben aus dem Jahr 1918:

  • Übermittlung eines Briefes des Sicherheitsdienstes (Sureté Générale) an den Polizeipräfekten am 26. Oktober 1918, von diesem weitergeleitet an den Unterpräfekten in Brest am 13. November 1918
  • Schreiben des Unterpräfekten in Brest an den Präfekten des Finistère vom 25. November 1918
  • Schreiben des Präfekten an das Innenministerium vom 29. November 1918

Laut den Angaben des Sicherheitsdienstes schreibt Mitterhuber im Herbst 1918 an die Gesandtschaft der Schweiz in Paris mit der Bitte um Nachricht über Frau Cécile Hallot, die er als seine Ehefrau bezeichnet. Der Sicherheitsdienst und der Präfekt fordern Mitterhuber auf, Beweise dafür vorzulegen oder doch glaubwürdig zu versichern, dass er tatsachlich mit Cécile Hallot verheiratet sei. Nach den Informationen, die den beiden Behörden vorliegen, sei diese nämlich nicht seine Ehefrau, sondern seine Geliebte.

Der Unterpräfekt von Brest (die Präfektur des Departements Finistère befindet sich in Quimper), zuständig für das Lager Île Longue, geht der Sache nach und fordert Mitterhuber auf, sich zu erklären. In einem leider nicht erhaltenen Schreiben gibt Mitterhuber die überraschende Auskunft, er kenne Frau Hallot überhaupt nicht und sei im Übrigen mit Frau Mitterhuber, geb. Delmas aus Arpajon im Cantal verheiratet.

Angehörige

Der Name Mitterhuber gehört zu den weniger geläufigen Nachnamen. Auch heute noch ist er hauptsächlich in Bayern anzutreffen.

Julius Mitterhuber ist 1914 zwar verheiratet, hat aber nach seinen eigenen Angaben aus dem Jahr 1914 keine Kinder [8].

Es gibt drei Geschwister. Die ältere Schwester Karolina Theresa wurde am 29. März 1867 geboren und war seit dem 5. April 1904 mit dem Leutnant Rudolf Mohr aus Perleberg (Preußen) verheiratet. Der ältere Bruder Friedrich wurde am 21. März 1868 geboren und war wie Julius Arzt. Der jüngere Bruder Max wurde am 25. Mai 1882 geboren und ist am 30. April 1954 verstorben (wurde tot aufgefunden). Er war Offizier. [9]

Datenblatt Xaver Mitterhuber,
Personal file of Xaver Mitterhuber,
Stadtarchiv Regensburg

Schlussbemerkungen

Wir haben also eine ganze Menge über Julius Mitterhuber herausfinden können, aber das eigentliche Ziel unserer Suche haben wir nicht erreicht. Dieses Ziel besteht darin, Familienangehörige, Nachkommen der Internierten ausfindig zu machen, in der Hoffnung, auf diesem Wege an zuverlässige Berichte über das Lagerleben zu kommen. Berichte, die frei von Zensur geschrieben wurden. Die hat es sicher gegeben und die gibt es vielleicht noch. Und das ist einer der Gründe dafür, dass wir versuchen, Kontakt zu den Nachkommen der Internierten aufzunehmen, in der Hoffnung, von diesen persönliche, authentische, aufschlussreiche Dokumente zu erhalten.


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