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Le camp d’internés 1914-1919
Le camp d’internés 1914-1919

Dieser Internet-Auftritt verfolgt das Ziel, möglichst viele Informationen über das Internierungslager auf der Ile Longue zusammenzustellen, damit Historiker und Nachkommen der Internierten sich ein Bild von den Realitäten dieses bisher wenig bekannten Lagers machen können - nicht zuletzt auch, um die bedeutenden kulturellen Leistungen der Lagerinsassen zu würdigen.

Le but de ce site est de prendre contact avec les familles des prisonniers allemands, autrichiens, hongrois, ottomans, alsaciens-lorrains... qui ont été internés, pendant la Première Guerre mondiale, dans le camp de l’Ile Longue (Finistère).

Otto Klaebisch verbrachte gut zwei Jahre im Internierungslager auf der Île Longue und gehört zu den besonderen Internierten, denn sein gesamter Lebensweg ist geprägt durch das Spannungsverhältnis der deutsch-französischen Beziehungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Während des Zweiten Weltkriegs wurde er in Frankreich als der „Champagner-Führer“ bezeichnet.

Die schlimmsten Befürchtungen von Otto Klaebisch wurden wahr. Auf seiner Rückfahrt in die Heimat nach Beginn des Ersten Weltkrieges wurde er am 24. August 1914 auf dem spanischen Schiff Sister von seinen französischen Landsleuten bei Marseille gefangen genommen. Sie brachten ihn in ein Lager für Kriegsgefangene nach Uzès, Provence, wo er zwei lange Jahre zubringen musste.

Eine völlig unbegreifliche Situation für ihn. War er doch selbst beinahe ein Franzose: Er war am 1. August 1894 in Frankreich in der Stadt Cognac, Departement Charente, zur Welt gekommen und hatte drei Geschwister. Seine Eltern, Gustav Klaebisch und Bertha Klaebisch, geb. Kammann, lebten in Frankreich, weil sein Vater 1890 die bekannte Firma Meukow [1] gekauft hatte. Otto Klaebisch war also in Frankreich aufgewachsen und sprach fließend Französisch.

Die Lagerzeit in Uzès war für Otto Klaebisch eine schlimme Erfahrung. Schlechte sanitäre Verhältnisse, militärischer Drill und Schikanierungen machten das Leben schwer. Von seinen Eltern erhielt er zudem schlechte Nachrichten: Der väterliche Betrieb in Frankreich war inzwischen vom französischen Staat konfisziert und die Familie nach Deutschland ausgewiesen worden.

Nach zwei Jahren, im Sommer 1916, veränderte sich seine Situation. Die Gefangenenlager in Frankreich wurden umstrukturiert, Zivilinternierte und Kriegsgefangene sollten getrennt untergebracht werden. Otto Klaebisch wurde zum Internierungslager auf der Île Longue verlegt. Die Lebensbedingungen für die Gefangenen waren dort wesentlich besser. Otto fand bald Anschluss bei den Kaufleuten aus Übersee, die versuchten, zusammen mit den Kreativen des Lagers, kulturelle Angebote zu machen.

Besonders faszinierend fand er die Idee von G.W. Pabst, ein richtiges Theater aufzubauen. Als das Theater im März 1917 den ersten Vorhang öffnete, war Otto Klaebisch mit dabei. Er spielte in dem Schauspiel „Alt Heidelberg“ von Wilhelm Meyer-Förster die Rolle des Herrn von Wedell. Während des folgenden Jahres, in der Zeit als G.W. Pabst das Theater leitete, übernahm er insgesamt 10 Rollen mit den unterschiedlichsten Charakteren. Der „Theaterkritiker“ der Lagerzeitschrift Die Insel-Woche, Herbert Ganslandt, hebt mehrfach seine schauspielerischen Leistungen hervor. Am 7.03.1918 schreibt er in seinem Kommentar:

Ausschnitt aus Theatermappe
Extrait de dossier théâtre
Image detail from the theater portfolio

In ersterer hatte Herr Klaebisch Gelegenheit sowohl sein natürliches Talent in der überschäumenden Jugendlust der Heidelberger Zeit zur Geltung zu bringen, als auch seine schauspielerischen Erfahrung bei der Wiedergabe des kalten, beherrschten Fürsten der beiden letzten Akte zu verwerten.

In der aufwändigen Theatermappe, die 1918 herausgegeben wurde, wird seine Schauspielkunst ebenfalls gewürdigt. Der Maler Leo Primavesi, stellt ihn in zwei Szenenbildern dar: In dem Märchendrama Die versunkene Glocke von Gerhard Hauptmann spielte er den dreisten Waldschrat und in dem Liebesdrama Jugend von Max Halbe den schwierigen Amandus.

Willi Hennings [2], der den Text für die Mappe erstellt hat, beschreibt mit Begeisterung seine Schauspielkunst:

Halloh! Temperament! — Eilig plätschernde Rede, — lachender Atem spielenden, hüpfenden Seins — Laßt die Kraft in den Raum explodieren, laßt die Flamme nur schießen — Rauchen muß es, Tanz muß es sein: anmutigster Tumult, leichter, schwebender Sieg: das ist der jugendliche Liebhaber: Kläbisch — Einmal aber war er ein Anderer. Einmal griff er ins Tiefste. Einmal erfaßte er beweglichen Geistes eine beladene Existenz: Amandus in der Jugend. Kläbisch gelang es, aus diesem Idioten eine ernste schicksalhafte Figur zu formen. Hier war Intensität des Ausdrucks. Das täppische, unbeherrschte Gebahren eines jungen Jagdhundes wechselte mit den heftigen Entladungen bösester Instinkte. Dieser Amandus entwickelte sich so, daß die immer bereite Heiterkeit der Zuschauer im Grunde erstickt – ja, gewandelt wurde in das atemlose Schweigen der Erschütterung.

Ausschnitt aus Theatermappe
Extrait de dossier théâtre
Image detail from the theater portfolio

Die Programmhefte des Theaters sowie diese beiden Beschreibungen der künstlerischen Leistungen des begabten Schauspielers sind leider die einzigen Zeugnisse seines Aufenthaltes auf der Île Longue. Die Texte sind aber noch mehr als nur eine Beschreibung seiner Wandlungsfähigkeit, sie werfen ein Schlaglicht auf sein Innerstes, und beleuchten damit die vielen Facetten seines Wesens.

Am 12. November 1918 kam Otto Klaebisch frei. In Vire (Calvados) wurde seine Repatriierung eingeleitet, und er wurde nach Deutschland „ausgewiesen“. Endlich konnte er seine Familie wiedersehen.

Zu den ehemaligen Internierten pflegte er auch nach dem Krieg Kontakt. Otto Klaebisch gehörte zu dem Kreis um Elert A. Seemann. [3] Als Elert Seemann in Goslar zum Pfingstwochenende 1923 ein Treffen organisierte, folgten 20 seiner Kameraden aus der Internierungszeit auf der Île Longue der Einladung. Unter ihnen waren Herbert Ganslandt, der Theaterkritiker, und Hans Baehr, der das Foto mit nach Hause nahm und zu seiner Sammlung legte.

Otto Klaebisch ist dort in bester Stimmung zu sehen. Und das mit gutem Grund: Er war verheiratet, war Vater von zwei gesunden Töchtern und er hatte Erfolg im Beruf. [4]

Treffen in Goslar, Otto Klaebisch erste Reihe, ganz rechts
Réunion à Goslar, Otto Klaebisch au premier rang, tout à droite
Meeting in Goslar, Otto Klaebisch first row on the far right
Private Sammlung / Collection privée / Privat collection Hans Baehr

Otto Klaebisch war inzwischen verschwägert mit Joachim von Ribbentrop, der zu dieser Zeit einen Weinhandel betrieb und der 1920 Annelies Henkell, eine Tochter des Sektfabrikanten Otto Henkell, geheiratete hatte.

Der berufliche Weg von Otto Klaebisch, war vorgezeichnet durch seine Herkunft und die familiären Beziehungen: Er begann in Hamburg als Handelsvertreter für Weine, Spirituosen und Champagner, u.a. für die bekannte Firma Lanson in Reims. Bald war er so erfolgreich, dass er die Generalvertretungen für Deutschland erhielt und im Jahr 1934 in die deutsche Sekt- und Handelsfirma Matheus Müller als persönlich haftender Gesellschafter und Mitinhaber einstieg und mit seiner Familie nach Eltville in den Rheingau zog.

Während des Zweiten Weltkrieges wurde ihm eine besondere Aufgabe zugeteilt, zu der ihm vielleicht Rudolf von Ribbentrop verholfen hatte, denn der war inzwischen zum Außenminister avanciert: Für das besetzte Frankreich wurden Fachleute benötigt, deren heikle Aufgabe darin bestand, für Deutschland so viel Wein wie möglich zu beschaffen, auf der anderen Seite aber auch dafür zu sorgen, dass der französische Weinmarkt nicht zusammenbrach. Diese von den Franzosen bezeichneten „Weinführer“ waren Händler, die bereits seit Jahren Geschäftsbeziehungen zu französischen Wein- und Champagnerhäusern und damit auch vielfältige persönliche Beziehungen zu den französischen Weinhändlern hatten, die zum Teil seit Generationen bestanden. Den meisten von ihnen war bewusst, dass es auch nach dem Krieg einen Weinhandel geben würde, und zwar unter anderen Bedingungen, und deshalb viel Fingerspitzengefühl notwendig war.

Die schwierige Aufgabe des „Champagner-Führers“ sollte Otto Klaebisch in Reims bewältigen.
Die Franzosen in der Champagne waren erleichtert, dass Otto Klaebisch ein ausgewiesener Champagner-Experte war, perfekt Französisch sprach und als ausgesprochen frankophil galt. Sein Auftreten und sein Verhalten in der ersten Zeit befremdete sie jedoch etwas. Otto Klaebisch war mit seinen fast 50 Jahren eine stattliche Erscheinung, jedoch von erheblichem Leibesumfang. Er zeigte sich häufig in Uniform, war sehr selbstbewusst und manchmal herrisch. Er liebte Luxus, insbesondere schöne Domizile, und so beging er gleich zu Anfang einen Fauxpas. Das herrliche Anwesen von Bertrand de Vogüé hatte er für sich als Sitz auserkoren und ließ es sofort beschlagnahmen. Bertrand de Vogüé, Chef des Hauses Veuve Cliquot-Pontsardin, musste sich eine neue Bleiben suchen. Erschwerend kam hinzu, dass dessen Bruder, Count Robert-Jean de Vogüé, Leiter des Hauses Moët & Chandon war, und zu einem der bedeutendsten Männer der Champager Industrie wurde. Um in diesen Kriegswirren die Interessen der Champagner Industrie besser vertreten zu können, gründete er gleich in der ersten Zeit einen Zusammenschluss aller französischen Champagner Firmen, die CIVC (Comité Interprofessionnel du Vin de Champagne). [5]

Robert-Jean de Vogüé wurde in Folge dessen zu dem wichtigsten Ansprechpartner von Otto Klaebisch.

Was Otto Klaebisch wahrscheinlich nicht wusste war, dass der Robert-Jean de Vogüé auch Mitglied der Résistance war. Als die Gestapo ihn im Jahr 1943 verhaftete, befand er sich ausgerechnet zu Verhandlungen im Büro von Otto Klaebisch. Robert-Jean de Vogüé wurde zum Tode verurteilt, das Urteil jedoch aufgehoben und in Zwangsarbeit umgewandelt. Erst am Ende des Krieges kam er, schwer erkrankt und gezeichnet, frei.

Als Otto Klaebisch nach dem Krieg wegen Wirtschaftsverbrechen angeklagt wurde, war es nur der Aussage von Robert-Jean de Vogüé zu verdanken, dass er frei gesprochen wurde.

Dies zeigt, dass trotz der anfänglichen Schwierigkeiten und Differenzen zwischen den beiden Männern – Otto Klaebisch sollte und ließ in der ersten Zeit Unmengen von Champagner nach Deutschland schicken – der „Weinführer“ durchaus auch Hilfestellung dabei gegeben hat, die besonderen Bestände des Champagners vor zum Zugriff der Nazis zu schützen, also auch im Sinne des Champagner-Marktes in Frankreich gehandelt hat.

Nach einem Verfahren zur Entnazifizierung konnte Otto Klaebisch seine Tätigkeit bei Matheus Müller wieder aufnehmen. Wie schon vor dem Kriege vertrat er weiterhin die französische Firma Lanson, was ebenfalls dafür spricht, dass seine Tätigkeit in Frankreich insgesamt nicht negativ beurteilt wurde.

Otto Klaebisch versuchte nun, sein Leben wieder in normale Bahnen zu lenken. Neben seiner Tätigkeit bei Matheus Müller gründete er mit seinem Bruder Gustav [6] in Eltville eine eigene Handelsfirma für Liköre und Cognac. Auch war seine Expertise nach wie vor gefragt: Er wurde 1949 Vorsitzender des Verbandes der deutschen Sektkellereien in Wiesbaden und verhandelte in dieser Funktion mit der Bundesregierung über die Sektsteuer. Im Herbst des Jahres 1954 wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

In diesem Jahr gab es noch ein wichtiges Ereignis für Otto Klaebisch: Der Rotary Club International, Wiesbaden, dessen Mitglied er war, hatte beschlossen, erste Kontakte zwischen den Rotary Clubs Wiesbaden und Orléan aufzubauen. Ziel war die Anbahnung einer deutsch-französischen Freundschaft. Eine französische Delegation kam in den Rheingau. Der Empfang der Gäste fand im Haus von Otto Klaebisch, in seiner schönen Villa am Rhein, statt. Otto Klaebisch begrüßte die Franzosen perfekt in ihrer Landessprache, die französische Fahne wurde gehisst und die Marseillaise gespielt. [7] Ein unvergessliches Ereignis für alle, Franzosen und Deutsche und ganz sicherlich auch für Otto Klaebisch. Die Freundschaft war besiegelt.

Otto Klaebisch hatte in Eltville, einer Stadt mit französischem Flair, endgültig Fuß gefasst. Er war anerkannt, wurde zum Kirchenvorsteher gewählt und stiftete für die umliegenden Gemeinden Kiedrich und Erbach Kirchenglocken.

Am 4. Juni 1975 verstarb er - sechs Jahre vor seiner Frau – und wurde auf dem Friedhof in Eltville beerdigt.

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