Wir verdanken es vor allem der wöchentlich erscheinenden Lagerzeitung „Die Insel-Woche“, dass wir über die Lebensbedingungen der Gefangenen, ihre Beschäftigungen (Kultur, Kunst, Sport, Handwerk u.a.) ziemlich gut Bescheid wissen; aber die Zeitung ist auch ein Abbild des psychologischen Klimas im Lager und der Gemütsverfassungen der Gefangenen.
Wie schon angemerkt, liegt „Die Insel-Woche“ in zwei „Folgen“ vor (1. Folge: Juni 1915 bis Januar 1916. 2. Folge: April 1917 bis Mai 1918), die sch ihrem Gest und ihren Zelsetzungen nach von einander unterscheiden. Unsere Aufmerksamkeit gilt vor allem der 2. Folge. Denn weniger als in der 1. Folge, sind hier Redaketure am Werk, die in nahezu bedingungsloser Beharrlichkeiter an den moralischen und kulturellen Grundwerten unserer Zivilisation festhalten. Es handelt sich um eine Gruppe von Männern, die mit Entschlossenheit gegen die Risiken der Gefangenschaft kämpfen: Sittenverfall, Verzweiflung und Verlust der Menschenwürde.
Wenngleich die meisten Autoren anonym geblieben sind, so kennen wir doch die Namen der Initiatoren und leitenden Redakteure, deren Persönlichkeiten dieses bedeutende Werk entscheidend geprägt haben. In erster Linie zu nennen wären der Herausgeber Edmund Kowalski sowie die beiden aufeinander folgenden Chefredakteure Gustav Tschentscher und Friedrich Hommel.
Natürlich stellt sich die Frage, ob und inwieweit der Lagerzeitung Glauben zu schenken ist, wenn es darum geht, die materiellen und psychischen Probleme zu ermessen, die die Gefangenen zu ertragen hatten. Die Zeitung war nämlich einer strengen und praktisch lückenlosen Zensur unterworfen, die bemüht war, Unmutsäußerungen, Kritik und Polemik zu unterbinden. Aufgrund dieser Zensur steht der Leser vor einem merkwürdigen Widerspruch. Auf der einen Seite die dramatischen Umstände der Gefangennahme – die Aufbringung eines neutralen Passagierdampfers und die Verhaftung Hunderter von Zivilisten, der „illegale“ und „ungerechte“ Charakter dieser Gefangenschaft – Umstände also, die Ausdruck von Wut, Polemik und Bitterkeit erwarten ließen. Auf der anderen Seite aber das Bild eines friedlichen, harmonischen, ja fast idyllischen Lagerlebens, das die Zeitung widerspiegelt.
Deshalb ist es wohl angebracht, zwischen den Zeilen zu lesen, um die wahre Wirklichkeit des Lebens der Gefangenen zu erfassen, ein Leben, das oft von Traurigkeit und Niedergeschlagenheit gekennzeichnet ist – „negative“ Gemütszustände, gegen die die Zeitung ankämpft; und das natürlich nicht, um mit der französischen Verwaltung gemeinsame Sache zu machen, sondern um die Last der Gefangenschaft erträglicher zu machen, um die Gefangenen in der bedrückenden Ungewissheit ihres Schicksals vor dem kulturellen Verfall zu bewahren. In der unbeirrbaren Verfolgung dieses Zieles, ist es der Redaktionsleitung gelungen, ein Werk zu schaffen, das, nicht zuletzt auch angesichts der Schwierigkeiten des Lagerlebens, als im höchsten Maße verdienstvoll und bewundernswert zu betrachten ist.